Wie in die Jahre gekommene Gebäude zu nachhaltigen Energieerzeugern umgewandelt werden, zeigt das EU-Projekt EXCESS unter der Leitung des Instituts LIFE der JOANNEUM RESEARCH beispielhaft vor. Aufrüstung statt Abriss lautet die Devise: Ressourcen werden geschont, Materialien recycelt und alte Gebäude mit neuen Technologien ergänzt. Ziel von EXCESS ist es, anhand von vier Gebäuden in vier Klimazonen Europas zu zeigen, dass Gebäude mehr Energie aus erneuerbaren Quellen produzieren können, als sie jährlich verbrauchen. Mit der übrigen Energie sollen zukünftig Nachbargebäude mit grüner Energie mitversorgt werden. Der Klimaökonom Andreas Türk ist Gesamtprojektleiter des EU-Projekts mit vier Demonstrationsgebäuden in Belgien, Finnland, Spanien und Graz.
Das Grazer Demogebäude ist ein ehemaliger Futtersilo aus Stahlbeton, der sich in einem ehemaligen Industrieareal in der Puchstraße befindet, dem Taggerwerk. Durch Bauteilaktivierung über die Außenwände wird der sogenannte Turm zu einem energiepositiven Gebäude umgerüstet. Dafür entwickelten unsere Forscher*innen gemeinsam mit dem AEE – Institut für Nachhaltige Technologien (AEE INTEC) aus Gleisdorf eine Spezialfassade, die im Rahmen von EXCESS optimiert wurde und bereits an zwei Stockwerken angebracht ist. Darin befinden sich Heizungsrohre, Dämmelemente, Fassadenelemente und eine Photovoltaikfläche. Die Spezialfassade ermöglicht ein sparsames, kostenschonendes System, über das die Wand im Sommer gekühlt und im Winter geheizt wird. Die nun marktreife Technologie ist bereits seit August im Einsatz und das System funktioniert sowohl im Kühl- als auch Heizbetrieb.
Prognosen zur Sonneneinstrahlung und Energienutzung
Andreas Türk, Leiter der Forschungsgruppe Internationale Klimapolitik und Ökonomik am Institut LIFE: „Mein Team führte im Vorfeld ökonomische Berechnungen durch, wie auch Prognosen zur Sonneneinstrahlung und Energienutzung. Diese Erkenntnisse haben wir in detaillierte Arbeitspläne gegossen und Simulationen erstellt, die wir nun mit Echtdaten verifizieren. Weil bis jetzt erst zwei Stockwerke mit der Spezialfassade ausgestattet sind, wird die Energiegewinnung sowie der Energieverbrauch des restlichen Turms simuliert. Sobald wir die ersten Echtzeitdaten haben, können wir diese auf den gesamten Turm mittels einem Simulationsmodell von AEE INTEC skalieren. Wir haben Performanceindikatoren in der Design- und Simulationsphase virtuell ermittelt und getestet. Es gilt, diese mit der Praxis zu vergleichen und zu schauen, wie gut man diese erreicht und wo Anpassungen der Technologien nötig sind.“
Es gibt auf dem Areal zwei große Innovationen, die technologische und die soziale. Für Energie-Nutzer*innen im Tagger-Areal entwickelte IT-Experte Thomas Schwarzl eine App (OBS: Objective benefit sharing), um sie in einer Energiecommunity zusammenzubringen, in der sie Benefits erwirtschaften können. Er ist Geschäftsführer der gleichnamigen IT-Firma, hat sein Büro vor Ort und wird als Testnutzer den Turm beziehen, um im realen Betrieb Fakten und Befinden über die Wandwärme und Wandkühlung zu sammeln.
Potenzial in solchen Gebäuden ist enorm
Thomas Schwarzl: „Die App bietet die Möglichkeit, in einer Gemeinschaft die Einsparungen und Möglichkeiten sichtbar zu machen und das Miteinander bei dem gemeinsamen Ziel des Energiesparens in den Vordergrund zu rücken. Das Potenzial in solchen Gebäuden ist enorm, was CO2- und Energieeinsparungen angeht. Die Hauptproblematik bei der App-Entwicklung war die Frage, wie man Menschen in ein wenig aufregendes Thema wie Energietechnik involviert. Dementsprechend haben wir begonnen, eine App zu entwickeln, die nicht nur Daten visualisiert, sondern Menschen die Möglichkeit gibt, aufgrund der eigenen Verhaltensänderung oder der Beteiligung an erneuerbaren Energien am Gebäude Anreize zu schaffen. Und diese können im Idealfall beim Taggerwerk in Essen, Trinken bzw. Kaffee umgewandelt werden. Als Gemeinschaft erkennt man, welchen Mehrwert man durchs Energiesparen kreiert hat.“
Forscher*innen, Bauunternehmer*innen und IT-Expert*innen arbeiten mit dem Eigentümer des Tagger-Areals Christian Kossegg zusammen. „Das gesamte Areal ist jetzt bereits energieautonom, sprich, von Gas unabhängig geworden,“ zeigt sich Projektleiter Andreas Türk begeistert. „Da ist einiges entstanden, wo jeder andere Investor abgerissen hätte,“ ist Türk überzeugt. Derzeit befindet sich das Projekt in einer Testphase. Christian Kossegg: „Im Sommer wurde das Kühlen und ab dem Herbst wird das Heizen erprobt. Wir testen aktuell den Optimalzustand für niedrige Temperaturen bei maximalem Ertrag und maximalem Nutzen: Welche Temperaturen erziele ich im Innenraum, bei welchen Außentemperaturen und welchen Vorlauftemperaturen?“ Der Sinn der Sache ist, das Areal über lange Sicht mit wenig Kosten zu beheizen und zu kühlen. Der Vorteil für die Menschen ist, dass mit diesem System die Betriebs- und Heizkosten auf niedrigem Niveau gehalten werden können.
Auch ein soziales Ideal
Der Besitzer des Areals Christian Kossegg, der auch wesentlich an der Optimierung der Fassade beteiligt war, verfolgt neben dem Ansatz Ressourcen zu sparen auch ein soziales Ideal: „Mir ist es wichtig, nicht nur ein Areal zu betreiben, wo Leute arbeiten, sondern dass sie sich auch untereinander austauschen. Im Erdgeschoss des Turms wird ein Café entstehen und mittels App bezahlen die Nutzer*innen der Energiecommunity über ihre Mithilfe beim Energiesparen.“ Im Areal wird in weiterer Folge das kollektive Handeln forciert, um Energiekosten zu senken und nachhaltige Effekte zu erzielen, beispielsweise Aktivitäten wie Müllvermeidung, das Teilen und die Anpassung des Ladeverhaltens von E-Autos.
Kontakt & Informationen:
Mag. Andreas Türk, MBA
Forschungsgruppenleiter Internationale Klimapolitik und Ökonomik
JOANNEUM RESEARCH LIFE
Telefon: +43 316 876-7650
E-Mail: Andreas.Tuerk@joanneum.at
Adresse: Science Tower, Waagner-Biro-Straße 100, 8020, Graz
[Quelle: Joanneum Research/APA]